Kategorie Verhaltensbeobachtung: Klassenmusikunterricht

Titel des Projekts: „Inszenierungsmuster im Musikunterricht. Eine Videostudie zur Initiierung von Lernprozessen“
Projektleitung: Heike Gebauer
Universität: Universität Bremen, Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik

Kategorie Verhaltensbeobachtung: Klassenmusikunterricht Kategorie Verhaltensbeobachtung: Klassenmusikunterricht

Einführung: In Folge der Pionierarbeit von TIMSS (1995/1999), in der Unterrichtsprozessmerkmale erfasst und mit den Leistungstestdaten der Schüler/innen in Beziehung gesetzt wurden (Stiegler 1989; Reusser, Pauli 2010), hat die musikpädagogisch empirische Forschung in der Kompetenzmodellierung (Jordan et al. 2010) nunmehr einen ersten Pfad beschritten. Indessen steckt ihr komplementärer Zweig der Unterrichtsprozessforschung noch in den Kinderschuhen.

Die qualitative Studie „Inszenierungsmuster im Musikunterricht“ verfolgt das übergeordnete Ziel, die Unterrichtsqualitätsebene ‚kognitive Aktivierung’ im Musikunterricht allgemeinbildender Schulen videobasiert zu erfassen und fachspezifisch zu konzeptualisieren. ‚Kognitive Aktivierung’ beschreibt ein zunächst durch die Mathematikdidaktik im Anschluss an die TIMSS-Videostudien geprägtes Konstrukt. Es meint die Initiierung von Lernprozessen durch unterrichtliche Aufgabenstellungen und Unterrichtsgespräche (Klieme et al 2001).  Bei lernwirksamer Ausprägung beschreibt ‚kognitive Aktivierung’ einen Unterricht, der zum vertieften Nachdenken und zu einer elaborierten, problemorientierten Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anregt (vgl. Lipowsky 2006, S. 60) Für diese Initiierung von Lernprozessen komme Aufgabenstellungen und Unterrichtsgesprächen auch im Musikunterricht eine zentrale Funktion zu (vgl. Knigge, Lehmann-Wermser 2009, S. 8). Als eine domainspezifische Kategorie kann ‚kognitive Aktivierung’ allerdings gerade im Fach Musik mit seiner ästhetisch-affektiven und körperlich-medialen Erfahrungs- und Handlungsdimension eine ganz andere Ausprägung enthalten als z.B. im Fach Mathematik. Im Begrifflichen muss das Konstrukt ‚kognitive Aktivierung’ folglich zunächst über die rein kognitive Lehr-Lern-Ebene im Musikunterricht hinaus gedacht werden und neben dieser auch die ästhetische, affektive, musikpraktisch handelnde/psycho-motorische und soziale, interkulturelle Erfahrungs- und Lernebene einschließen. Daher gilt es, Klieme und Rakoczy (2008) folgend, auch die ‚kognitiv aktivierenden’ Inszenierungsformate der Musiklehrkraft fachspezifisch zu beschreiben und zu konzeptualisieren

Untersucht wird in dieser Studie die lehrerseitige Initiierung von Lernprozessen im Musikunterricht, d. h. die verschiedenen Formate der Unterrichtsgesprächsführung und der gestellten Aufgaben im Hinblick auf deren Form, fachliche Kompetenzanforderungen an die Schüler/innen und derenAnspruchsniveau.Angesichts fehlender empirischer Vorarbeiten in der Musikdidaktik selbst versteht sich die Studie als deskriptive, fallanalytische Grundlagenarbeit.

Methode: Es wurde jeweils eine Doppelstunde Musik von insgesamt sieben Lehrer/innen in Jahrgangsstufe 5, 6 oder 7 zum Thema Einführung in das Kompositions- und Formprinzip Rondo videographiert. Entsprechend fokussiert die Hauptkameraperspektive die Lehrperson und ihre unterrichtlichen Handlungen gemäß den erweiterten TIMSS-Videoaufnahme-Standards (Jakobs et al 2003, Seidel et al 2003). Die methodische Entscheidung für die Videoaufzeichnung gründet auf der Annahme und Beobachtung, dass sich bestimmte musikunterrichtliche Inszenierungsformen vor allem in ihrer audiovisuellen Modalität konstituieren und die Basis der musikbezogenen Kommunikation und der musikalischen Praxis in der Interaktion zwischen Schüler/innen und Lehrer/innen bilden. Audiovisuelle Besonderheiten von Inszenierungselementen zeigen sich beispielsweise in ritualisierten, nonverbalen, somit impliziten Aufforderungen zum Singen sowie in mimischen Impulsen, die auf eine deutliche und bewusste Artikulation beim Singen hinweisen. Ähnlich erfolgen Erklärungen zur Ausführung einer Bodypercussion durch nonverbales Vormachen der Bewegung.

Die Videodaten werden qualitativ inhaltsanalytisch (Mayring, 2008) mit deduktiver und vornehmlich induktiver Kategorienbildung niedrig bis hoch-inferent ausgewertet. Die Kodierungsebenen bzw. Selektionskriterien umfassen dabei folgendes Spektrum:

-  formale Merkmale (z. B. die Formulierung einer Aufgabenstellung, eine Frage-Antwort-Kette im Klassengespräch, ein medialer Impuls durch ein Klaviervorspiel)

-  Sozialformen (Plenum, Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit)

-  Inhaltsbezogene Aktivitäten (Welche Aspekte des Unterrichtsgegenstandes Rondo werden thematisiert? Z. B. Symbolhafte Darstellung, Rondoformen: Ketten-, Bogenrondo)

-  konkrete fachliche Kompetenzanforderungen und deren Anspruchsniveau(z.B. das musikpraktisch gestaltete Formschema anhand einer Buchstabenfolge charakterisieren; das                  kognitiv erarbeitete Formverlaufsprinzip hörend mit einem neuen Rondostück vergleichen)

-  Fachdidaktische Qualität der Aufgabenstellungen und Unterrichtsgespräche (z. B. Auslösen eines kognitiven Konflikts, musikpraktisch implizit Erfahrenes auf metareflexiver Ebene theoretisch wenden)

-  Funktionen bestimmter Anforderungen im Lernprozess der Stunde (z. B. Exploration von Vorwissen über die Formteile Strophe und Refrain, Erarbeitung des Rondo-Formablaufs z. B. durch das Hören oder Machen eines Rondos, Üben spieltechnischer Fertigkeiten, um das Rondo anschließend spielen zu können)

Ergebnisse: Die Studie befindet sich derzeit in der Datenauswertung, endgültige Ergebnisse liegen daher noch nicht vor. Es werden die „Inszenierungsarchetypen“ beschrieben und übergreifende musikunterrichtsspezifische Merkmale ‚kognitiver Aktivierung’ herausgearbeitet.

Legende: Stand Juni 2011

 

Literatur

Jacobs, Jennifer K., Garnier, Helen, Galimore, Ronald, Hallingsworth, Hilary, Givvin, Karen Bogard, Rust, Keith et al. (2003). Third International Mathematics and Science Study 1999. Video Study Technical Report. Volume 1: Mathematics. U.S. Department of Education. Washington, DC: National Center for Education Statistics. Online verfügbar unter: http://timssvideo.com/sites/default/files/TIMSS%201999%20Math%20Tech%20Report.pdf (Letzter Zugriff: 11.07.2011)

Jordan, Anne-Katrin, Knigge, Jens, Lehmann-Wermser, Andreas (2010). ProjektKoMus: Entwicklung von Kompetenzmodellen in einem ästhetischen Fach. In: Axel Gehrmann, Uwe Hericks, Manfred Lüders (Hrsg.), Bildungsstandards und Kompetenzmodelle. Beiträge zu einer aktuellen Diskussion über Schule, Lehrerbildung und Unterricht. (S. 209-222). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Klieme, Eckhard, Schümer, Gundel, Knoll, Steffen. (2001) Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I: „Aufgabenkultur“ und Unterrichtsgestaltung. In: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.), TIMSS – Impulse für Schule und Unterricht. Forschungsbefunde, Reforminitiativen, Praxisberichte und Video-Dokumente. (S. 43-58). Bonn: BMBF. Online verfügbar unter: http://www.bmbf.de/pub/timss.pdf (Letzter Zugriff: 11.07.2011)

Klieme, Eckhard, Rakoczy, Katrin. (2008). Empirische Unterrichtsforschung und Fachdidaktik. Outcome-orientierte Messung und Prozessqualität des Unterrichts. Zeitschrift für Pädagogik. 54(2), 222–237.

Knigge, Jens, Lehmann-Wermser, Andreas (2009). Kompetenzorientierung im Musikunterricht. Einige Anmerkungen zu einem Perspektivwechsel. Online verfügbar unter http://www.musik.uni-bremen.de/fileadmin/mediapool/musik/dateien/Knigge_Lehmann-Wermser_2009.pdf (Letzter Zugriff: 11.07.2011)

Lipowsky, Frank (2006). Auf den Lehrer kommt es an. Empirische Evidenzen für Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenzen, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schüler. In: C. Allemann-Ghionda, E. Terhart (Hrsg.), Kompetenzen und Kompetenzentwicklung von Lehrerinnen und Lehrern. (S. 47-70).Zeitschrift für Pädagogik. 51. Beiheft. Weinheim & Basel: Beltz.

Mayring, Philipp (2008): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken (10. bearb. Aufl.). Weinheim: Beltz.

Reusser, Kurt, Pauli, Christine (2010). Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität – Ergebnisse einer internationalen und schweizerischen Videostudie zum Mathematikunterricht: Einleitung und Überblick. In: KurtReusser, Christine Pauli, Monika Waldis(Hrsg.), Unterrichtsgestaltung und Unterrichtsqualität. Ergebnisse einer internationalen und schweizerischen Videostudie zum Mathematikunterricht. (S. 9-32). Münster: Waxmann.

Seidel, Tina, Dalehefte, Inger Marie, Meyer, Lena (2003). Aufzeichnen von Physikunterricht. In:Tina Seidel, Manfred Prenzel, Reinders Duit,Manfred Lehrke(Hrsg.), Technischer Bericht zur Videostudie „Lehr-Lernprozesse im Physikunterricht“. (S. 47-76), Kiel: Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN). (IPN-Materialien) Online verfügbar unter: ftp://ftp.rz.uni-kiel.de/pub/ipn/misc/TechnBerichtVideostudie-VH.pdf (Letzter Zugriff: 11.07.2011)

Stigler, James W. (1998). Video Surveys: New data for the improvement of classroom instruction. In: Paris, Scott G. & Wellman, Henry M. (Eds.): Global prospects for education. Development, culture, and schooling. (pp. 129–168). Washington, DC: American Psychological Assoc..

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